Ohr und Instrument.

Zu Hermann v. Helmholtz' Physiologischer Grundlegung der Musiktheorie.

Das Projekt untersucht das Verhältnis von psychophysiologischer Forschung und Theorie der Musik. Dazu soll in der Musik selbst eine eigenständige Versuchsanordnung entziffert und der Wandel nachgezeichnet werden, den die physiologische Forschung in der Musikästhetik hervortreibt. Ausgangspunkt ist Hermann von Helmholtz' Buch "Die Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die Theorie der Musik", das 1863 zum ersten Mal erschienen ist. Helmholtz entwickelt darin eine Theorie des Hörens, der zufolge das Ohr wie ein Meßinstrument arbeitet. Es analysiert Klänge, indem es ihre Wellenform in eine Summe von einfachen Wellen auflöst. Die Instrumentenbauer sind, wie auch die Musiker und Komponisten, durch diese Analysetätigkeit des Ohrs angeleitet worden, und in den Musikinstrumenten ist ein stilles, empirisches Wissen eingeschlossen. Ohr und Instrument verbindet demnach mehr als nur eine Metapher: Im Klavier erkennt Helmholtz einen Nachbau des Ohrs, wie auch das Klavier als Modell für die Funktionsweise des Ohrs dient. Darüber hinaus vollzieht er die Regeln der Musiklehre und die Geschichte der Komposition in Experimenten nach, wie umgekehrt Instrumentationslehren eine weitläufige Selbstbeschreibung der Musik als Versuchsanordnung unternehmen. Die europäische Musiktradition hat Schritt für Schritt gleichsam ihre eigenen physiologischen Bedingungen erkundet, und so können Unterscheidungen wie zwischen Dur und Moll oder Dissonanz und Konsonanz zum Beleg für eine physiologische Theorie des Hörens geraten. Eine neue, physiologisch begründete Musiktheorie soll im Durchgang durch das Wissen von den Instrumenten und die Physiologie des Hörens noch einmal die Einheit von Kunst und Natur aufzeigen. Die Experimentalaufbauten, die Helmholtz hierzu verwendet, produzieren jedoch Klänge, die in der Musik des 19. Jahrhunderts nicht vorgesehen sind, und diejenige Musikästhetik, welche die physiologische Theorie des Hörens belegen sollte, bricht unter naturwissenschaftlichen Erklärungen schließlich zusammen. Der Zirkelschluß von Technik, Physiologie und Ästhetik, vom Musikinstrument über den Experimentalaufbau zur Musiktheorie zeitigt Effekte, die weit über den Zirkel hinausreichen. Wenn Helmholtz eine Abgrenzung der Musik vom Schall noch der Ästhetik überantwortet, so wird eine Musik des 20. Jahrhunderts im Gefolge von Helmholtz diese Unterscheidung aufgeben: "Die Lehre von den Tonempfindungen" weist auf ästhetische Experimente voraus, deren Ausgang offen ist.