Eine Maschine, die Gedanken liest. A 8 Bit History
Es ist bekanntermaßen wahr, daß die Mathematik, insbesondere
die Wahrscheinlichkeitstheorie, dem Wetten mehr verdankt,
als das Wetten der Mathematik schuldet. Alan Mathison Turing


Es geht um Shannons toys. Es geht also um die Beschaffenheit von Forschungsinstitutionen oder Labyrinthe, Netzwerke, Analysen von Kryptogrammen oder Psychen von Gegenspielern. Denn Shannons Spielmaschinensortiment ist so umfangreich, wie sein Baukasten zu einer Theorie der Kommunikation.

Auch wenn die Geschichte des Baukastens noch nicht geschrieben ist, sie fiele wohl möglich zusammen mit einer Archäologie von Sozialisation in Serialitäten und Modularitäten, die dieses und nur dieses Jahrhunderts sich vorbehielt. In dem Jahrhundert davor scheiterten die großen Denker analoger und diskreter Rechenmaschinen und der Royal Society, Lord Kelvin und Charles Babbage, vor allem noch an der Handhabe dienstbarer Teile. Doch es hatte kaum eine Generation gebraucht und allein mit dem Griff in einen kindergerechten Baukasten konnte Douglas Hartree vor dem erlauchtem Kreis der Royal Society demonstrieren, wie analoge Rechenmaschinen mit überraschender Genauigkeit zum Laufen zu bringen sind. [1] Somit konnte Frau Shannon, die ihrem frisch angetrauten Mann den vielteiligsten Baukasten, der für Geld zu haben war, zum Geschenk machte, über alle Zweifel an der Höhe und Art der Investition erhaben sein: "it was fifty bucks and everyone thought I was insane!" [2].

Seit Claude Elwood Shannons bahnbrechender Magisterarbeit [3] von 1938 bedürfen projektierte Schaltungen dann ihrer materiellen Basis nicht mehr oder besser: zuerst einmal nicht. Der Zeit davor blieb nur an den Schaltungen selber zu manipulieren und d.h. try and error übrig. Erst Shannons Symbolisierung von Schaltzuständen mittels Boolescher Algebra räumt ein, daß Schaltungen auf dem Papier entworfen werden können. Damit ging einher, daß komplexe Schaltungen in einfachere überführt werden und letztlich dann einfachere Schaltungen komplexere zu entwickeln vermögen.

Shannons Informationstheorie oder - wie es angestanden zu übersetzen hätte - Kommunikationstheorie schaffte dann noch ein Maß für Information anzugeben, wenn der Quelle, dem Kanal und der Nachrichtensenke ein Kontingenzrahmen zugebilligt ist. Seitdem muß mit Information auch noch gerechnet werden, wenn Schaltungen ausfallen oder Kanäle gestört sind. Daß dieses Dispositiv aus dem Zweiten Weltkrieg hervorging, liegt auf der Hand.

Lacan-Leser werden von all dem längst wissen, selbstredend ohne daß sie es wissen, schreibt doch Jacques Lacan anstelle von Claude Shannon einfach von seiner Institution:

Für die Bell Telephone Company ging's darum, zu sparen, das heißt die größtmögliche Anzahl von Kommunikationen über einen einzigen Draht laufen zu lassen. [4]

Wenn Shannon zuweilen die endlosen Flure seiner Arbeitsstätte, kurz die Bell Labs, für Spazierfahrten auf einem Einrad nutzte und gleichzeitig noch Bälle jonglierte, dann machte ihm das wohl auch deshalb niemand zum Vorwurf, weil er sich Arbeit für Zuhause aufhob. Die Maschinen, die der Garage des Theoretikers entsprangen, wurden zuweilen zum Gegenstand von Fachkongressen - in die Archive seines Arbeitgebers fanden sie aber nicht.

So wird auch Theseus, noch in einer Garage am Mystic Lake seinen Platz haben. Theseus ist eine künstliche Maus, die aus einem frei konfigurierbaren Labyrinth herausfindet. Anzunehmen, daß Shannon mit Maus und Labyrinth, forschende Subjekte und ihren institutionellen Apparat nachbaute, mag erlaubt wenn auch nicht sehr schmeichelhaft sein. Denn alle Intelligenz scheint dem Labyrinth internalisiert zu sein, dessen Extension die Maus ist. Die Konfiguration ist dann die Umkehrung dessen, was man mit Marshall McLuhan vielleicht festzustellen geneigt ist.

Shannons Mentor Vannevar Bush fand immer wieder zum Begriff des Labyrinths, des maze [5], wenn es die Emanationen an vorher nie dagewesen Forschungsstätten eines zweiten Weltkriegs zu beschreiben galt. Aber Bush hatte Shannon und anderen, Lösungen zur Bewältigung von Labyrinthen zu erbringen, schon in den 30er Jahren aufgegeben, die mit dem Rapid Selector versuchsweise liefen.

Mir bleibt eine Maschine Shannons, eine Voraussagemaschine, mit einem Speicher für das Gedächtnis seiner Opponenten, gesondert vor- und anzustellen. Ein Kollege Shannons Dave Hagelbarger, der mit Shannnon die Passion für zukunftsweisende Basteleien teilt, hatte eine Maschine gebaut, deren Fähigkeit zur Prophezeigungen ihrem Name zunächst alle Ehre antat. Denn SEER (SEquence Extrapolating Robot) gewann in den Bell Labs bei dem Spiel Grad/Ungrad von annähernd 10.000 Partien gegen menschliche Opponenten weitaus häufiger, als einem Zufall zuzurechnen wahrscheinlich ist.

Um das Spiel unter medientechnischen Bedingungen zu rekonstruieren, wird Jacques Lacan schreiben: "Ein kleiner Text kommt uns zu Hilfe, von Edgar Poe, auf den, wie ich festgestellt habe, die Kybernetiker große Stücke halten." [6] Hagelbarger und Shannon, die auf Edgar Allan Poes Entwendeten Brief schon im ersten Absatz ihrer Beschreibungen der Grad oder Ungrad spielenden Maschinen verweisen, empfehlen sich somit als die Kybernetiker, von denen Lacan spricht. (Ein Lacansches Geheimnis mehr wird dann aber bleiben, denn Lacan macht seine Feststellung zu einem Zeitpunkt, als weder über Shannons Mind-Reading(?)Machine, noch über Hagelbargers SEER eine Zeile publiziert worden war.)

Hagelbargers Maschine war eingerichtet, die Wahl zweier möglichen Alternativen eines Opponenten zu antizipieren. Als sie ihre Siegesgewißheit unter Leuten in den Bell Laboratories gezeigt hatte, setzte Shannon ihr eine Maschine entgegen: a Mind Reading(?)Machine. Shannon räumte der Mind-Reading(?)Machine bei modifizierter Strategie nur ungefähr halb soviele Relais als Speicher ein, wie sie in SEER zu finden waren. Darauf entbrannte ein Streit unter Shannon und Hagelbarger, welche der Maschine nach der besseren Strategie verfahre; Ein Streit der nur aus der Welt zu schaffen war, indem man ihn auf die beiden Maschinen übertrug. Die Mind-Reading(?)Machine ist also das Produkt des heute wohl klassischen Falls, der eintritt, wenn nur noch Maschinen über Maschinen Auskunft zu geben vermögen. Die Maschinen wurden verkoppelt, wobei die Ausgabe einer der beiden Maschinen noch invertiert werden mußte, um die Asymmetrie beider Zielsetzungen wieder herzustellen. Das Ergebnis war, daß Shannons Maschine noch ein wenig deutlicher gegen SEER gewann, als diese gegen ihre menschlichen Opponenten.

Die Strategie beider Maschinen ist prinzipiell dieselbe. Zunächst wird eine Spielsituationen im Speicher erfaßt. Beispielsweise vermerken die Speicherzustände, daß ein Spieler sich für die gleiche Wahl wie im vorangegangenen Zug entscheidet, verliert und daraufhin erneut die gleiche Wahl macht. Oder aber: ein Spieler setzt auf die hinsichtlich des letzten Zugs komplementäre Option, gewinnt und bleibt bei der zuletzt gespielten Wahl. Hochgerechnet sind acht solcher Spielsituationen denkbar, die demnach mit drei Relais respektive 3-Bit zu erfassen sind. Die Maschine, wie man einsehen kann, speichert alles nur nicht das Datum, das das Ergebnis symbolisiert. Sie speichert nur Differenzen und ihre Wiederholungen, also ob Züge alterniert wurden, ob aufgrund der Alternation oder Stringenz gewonnen wurde oder nicht.

Von der Seite der Kontrolle und Sicherheitsmechanismen haben die ersten digitalen special-purpose-computer ihre Notwendigkeit erlangt, als ob es den berüchtigten Satz zu bestätigen gälte, daß Kontrolle hat, wer im Falle von emergency entscheidet (und sei es aufgrund eines dürftigen Speichers weniger bits). Auch die ersten digitalen Schaltungen, die Shannon zur motorischen und servomechanischen Kontrolle von Bushs Differential Analyzer besorgte, waren ja von dieser analogen Rechenmaschine streng geschieden. Mit der Mächtigkeit in der Analysis des Differential Analyzer, etwa Differentialgleichungen sechster Ordnung zu lösen, sollte es sobald kein digitaler Rechner aufnehmen. Aber es war ja gerade die neue Basis diskreter Schaltzustände, die zur Entscheidung drängte, wie bei der Überführung eines analogen Systems (und hieße es Natur) in ein anderes analoges die zwangsläufige Differenz systematisch zu fassen ist. Turings legendäre Arbeit zum Entscheidungsproblem [7] steht dafür ein. Shannon vollzog zeitgleich den Schritt des Zusammenfalls von Schrift und Zahl in der Praxis einer von Bush formierten Forschungsfront, die nun seine Schaltungstechnik neben dem Differential Analyzer auch auf die Wortverarbeitung des Rapid Selectors angewendet wissen wollte.

Ob Verfassungstheoretiker oder Systemtheoretiker es bezeugen, fundamentaler ist vermutlich nicht was entschieden wird, sondern daß entschieden wird und werden kann. Spätestens seit Lacan steht der Satz, daß das Spiel "in der Aktualität gründet, die in ihrer Gegenwart das zweite Futur hat." [8] Ihr notwendiges und konjunktivisches Plusquamperfekt gründet die Maschine indes auf Kontingenzen. Es ist nachvollziehbar, daß drei Züge infolge nötig sind, damit überhaupt eine der acht möglichen Spielsituationen zustande kommt. Erst wenn dieselbe Situation zweimal eingetroffen ist, wird die Mind-Reading(?)Machine bei der dritten Wiederholung der Spielsituation eine Strategie in Anschlag bringen, die nicht dem Zufall geschuldet ist. Entscheidet der Spieler nun anders, löscht die Maschine ihren Speicher für die Geschichte des Spielverlaufs und setzt einen Zähler wieder auf Eins - bei Umkehrung des Vorzeichens. Solange dieser Zähler nicht bis zu einer Zwei mit positiven oder negativen Vorzeichen vorgerückt ist, spielt die Mind-Reading(?)Machine rein zufällig, was keinem Menschen gestattet ist. Dem Spieler ist aber sehr wohl gestattet, der Maschine zu ihren Zufall zu verhelfen. Denn jedesmal, wenn er einen Zug macht, wird an einem Zufallselement ein momentaner Wert abgenommen, der alle 1/10 Sekunde alterniert. Seit Emil Du Bois-Reymond gilt das Diktum, daß Reize für ihre Perzeption eben eine 1/10 Sekunde benötigen. Medien hausen bekanntlich gerne hinter solchen Zeitfenstern, in die keine menschliche Kontrolle hineinreicht.

Der Unterschied zu Hagelbargers Maschine nun ist, daß diese schon bei einer ersten Wiederholung der Wahl des Gegenspielers nach besagten Spielsituationen mit höherer Wahrscheinlichkeit diese Wahl übernimmt. Auch minimiert sie sukzessive den Zähler, so daß ein einmaliges Alternieren des Spielers nach besagten Spielsituationen weniger ins Gewicht fällt. Koppelt man nun die beiden Maschinen, wird Hagelbargers SEER mit einer größeren Trägheit an den durch Zufall ins Spiel gekommenen Mustern der Mind-Reading(?)Machine festhalten. Ihre Reaktion auf diese zufälligen Muster erzeugen wiederum Redundanzen. Die Redundanzen sind ein gefundenes Fressen für die Mind-Reading(?)Machine, die einer Eskalation der Rückkopplung nur durch ihre radikale Speicherlöschung entgeht und sie überlegen macht.

Die Maschinen, die anfänglich nur zufällige Sequenzen produzieren können und auch weiterhin ohne Ende produzieren könnten, beginnen durch das Rauschen mehr und mehr ihre Konfigurationen zu artikulieren. Vorausgesetzt ist, daß die Strategien, die Sequenzen aus dem Bit-Strom bilden und in Ketten einer symbolischen Ordnung bringen, in den Maschinen unterschiedliche
sind. Um es anders und mit den Worten von Lacan zu sagen:

Von Anfang an und unabhängig von jeder Verknüpfung mit irgendeinem Band als real unterstellter Kausalität spielt das Symbol bereits und erzeugt durch sich selbst seine Notwendigkeiten, seine Strukturen, seine Organisationen. [9]

Hagelbarger erklärte den Anstoß für den Entwurf seiner Maschine damit, daß mit der Antizipation von Sequenzen ein Musikkompositionsautomat denkbar wurde. So schön wie sich SEER von dieser Anwendung auch ableiten mag, so sehr steht dem eine Vorgeschichte entgegen.

John von Neumann schrieb 1927 eine Theorie der Gesellschaftsspiele [10], also in dem Jahr, das der amerikanischen Gesellschaft den ersten schwarzen Freitag vor der Weltwirtschaftskrise bescherte. Das erste Szenario, daß von Neumann in dieser Schrift entwirft, scheint noch eine Verbeugung vor Simon Stevin zu sein, an dessen doppelter Buchführung die Neuzeit ihre ebenso neue Ökonomie ablas. Derartige Spiele faßte von Neumann als Zwei- Personen-Nullsummenspiel zusammen: Genau der Betrag den der eine gewinnt, verliert der andere. Keine Inflation, keine Steuern, keine Courtagen, keine Schutzgelder, keine Absprachen. Die Checksumme Gewinn und Verlust liefert definitionsgemäß eine Null ohne einen Wert auf der noch so abgerücktesten Nachkommastelle. Während von Neumann als zweites Beispiel eines Zwei-Personen-Null-Summenspiels das Spiel Stein/Papier/Schere in die zu initierenden Notationen schreibt, bleibt das erste Beispiel ohne Anschauung. Wollte man dieses Beispiel aber als Spiel begreifen, dann wäre es Grad oder Ungrad. Die Schrift, die als Inauguration der Spieltheorie gesehen wird, spielt also mit Grad oder Ungrad auf.

Erst später in dem monumentaleren Werk Theory of Games and Economic Behavior liefert von Neumann den elementarsten Fall eines Spiels nach:

Eine offensichtliche Beschreibung dieses Spiels ist die Feststellung, daß niemand etwas tut und nichts geschieht. [11]

Spätestens da ist alles Spieltheorie - entledigt sind seine Subjekte und alle Materialität, die nicht die Notation trägt.

Nachgedacht wurde über das Spiel wahrscheinlich schon als die erste Menschheitsgeneration mit dem Knochenmaterial der ihr vorangegangen Generation, zwar noch keine Würfel, aber dennoch was zum Würfeln hatte. Doch Theorien zum Spiel reichten auch mit solchen Größen wie Fermat oder Pascal immer nur zu Wahrscheinlichkeitskalkülen. Deshalb galten diese Theorien dem Spiel genau dann, wenn es keins mehr war. Denn es ging zumeist darum, wie Gewinne aufzuteilen sind, wenn Spiele vorzeitig beendet werden. Henry Poincaré wird zwar noch die Einsicht kommen, daß die Natur auch nur einen Dealer ist und kein prinzipieller Unterschied zwischen der Verteilung von Karten in einem Stapel und von Molekülen im Gas herrscht. [12] Aber für eine Spieltheorie fehlt ihm der entschiedene Begriff der Strategie.

Strategie heißt ja von je her nichts anderes als Heere führen, oder verallgemeinert Krieg führen. Nur mit dem Zweiten Weltkrieg dürfte der Begriff von Krieg ein anderer geworden sein und somit auch der der Strategie. Karl Dönitz, Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, mag davon sein Leid klagen:

Die Frage des Täuschungs-Funkverkehrs mit dem Ziel, gewisse Gebiete als von U-Booten besetzt, andere Gebiete als von U-Booten frei erscheinen zu lassen, wird als zwar theoretisch sehr einleuchtend, in der praktischen Durchführung aber sehr kompliziert angesehen. Ein weiteres Durchdenken dieser Frage und der daraus zu ziehenden Schlußfolgerung führt zu einem weitgehenden Hineinkombinieren in den Gegner (Gegner denkt, ich denke - also denke ich ...], [Das entzieht] sich dem sachlichen Beurteilungsvermögen [...]. Hinzu kommt die Gefahr falscher oder ungenauer Peilungen des Gegners, die unter Umständen gerade dem Zwecke des Täuschungs-Funks entgegen wirkt... [13]

Es ist die Kontingenz im Quadrat von Freund/Feind und Täuschungs-Funk/Fehlpeilung, die das Cogito ergo sum Karl Dönitz' zu keinem Sein mehr kommen läßt, sondern nur wieder zu einem Denken: Gegner denkt, ich denke - also denke ich... Vierzehn Jahre später, denkt einer, der seine erste Schriften in einem befreiten Paris allesamt der Spieltheorie widmet, den Satz den Dönitz offen läßt, zu Ende:

Wenn ich ihn [den Gegenspieler] als mit mir selbst identisch unterstelle, dann unterstelle ich zugleich, daß er fähig ist, von mir zu denken, was ich dabei bin, von ihm zu denken, und zu denken, daß ich denken werde, daß er das Gegenteil dessen tun wird, von dem er denkt, daß ich dabei bin, es zu denken. [14]

Wir sind wieder mitten in Lacans Seminar zu Poes "Entwendeten Brief". Doch Lacan bleibt nicht beim Gegenspieler stehen, sondern weiß von einer Maschine:

Man hat, scheint's, eine Maschine konstruiert, die das Grad-oder-Ungrad-Spiel spielt. Ich stehe für nichts ein, denn ich habe sie nicht gesehen, aber ich verspreche Ihnen, daß ich, eh' diese Seminare vorbei sein werden, hingehen werde, um sie zu sehen - unser guter Freund Riguet hat mir gesagt, daß er mich mit ihr konfrontieren will. [15]

( Mir hat Monsieur Riguet gesagt, daß er das nie gesagt und getan hat.) Lacan wird niemals von einem Rendezvous mit der Maschine berichten, genauso wenig wie über die Quellen seiner Kenntnis. Er fährt einfach fort, eine Maschine hypothetisch anzunehmen, um sie dann zu analysieren:

Aber für den Augenblick spiele ich nicht Grad-oder-Ungrad, sondern ich spiele, um das Spiel der Maschine zu erraten. [16]

Cryptanalyst nannte Shaonnon den einen Part eines Zwei-Personen-Nullsummenspiels, Cipher Designer den anderen in der Theorie der Kommunikation [17], die auf die Bedingungen des Zweiten Weltkriegs eingestellt ist. Ein Ziffer Designer war im Zweiten Weltkrieg auch das deutsche De- und Chiffrierungssystem Enigma. Nur wußte man ja auf deutscher Seite gar nicht, daß man mit der Enigma nur einen Part innerhalb eines Deadly Serious Game [18] eingenommen und nicht - wie leichtfertig prognostiziert - das Spiel selber in der Hand hatte. Dönitz mußte die Engima der Rettungsring in der schier uferlosen Oszillationen sein, die die Intersubjektivität modulierte.

Doch Spielstrategien scheinen nicht erst bei der Konfiguration von Kommunikationssysteme zum Zuge zu kommen, sondern konstituieren Kommunikation selber. [19] Leute wie Alan Turing, von Neumann und Claude Shannon haben das Spieltableau neu entworfen: Alan Turing, indem er ein endliches Regelwerk für das Berechenbare lieferte und damit theoretisch den Computer. Shannon, indem er die Implementierung des Regelwerks in Schaltzuständen berechenbar machte und von Neumann, der ja schlicht und ergreifend dafür die Rechnerarchitektur einräumte.

Das Programm der gezeigten Simulation der Mind-Reading(?)Machine sitzt der von Neumannschen Computerarchitektur direkt zweimal auf. Zunächst wird es von der virtuellen Java-Maschine, die einen Rechner samt aller Register und Programmzähler in Software noch einmal nachbildet, ausgeführt, sodann interpretiert der 686er Rechner oder fast jede beliebige andere Plattform diese virtuelle Maschine. Aber den meisten der heutigen Plattformen sind selbst eine Mind-Reading(?)Machine in Hardware eingesenkt.

Das Fließbandverfahren stand schon der frühen Computertheorie Modell. [20] So ist es nicht verwunderlich, daß alsbald die Pipeline in die realen Rechnerarchitekturen einzog. Seitdem ist der zentralen Recheneinheit aufgetragen, nach Möglichkeit nicht abzuwarten, daß eine Instruktion die verschiedenen Instanzen ihrer vollständigen Abarbeitung passiert hat, um ihr den nächsten Befehl folgen zu lassen. Vielmehr gilt es dem Ideal eines maximalen Durchsatzes nahezukommen, welches da wäre, daß jede Instanz mit jedem Takt nun in sich verschränkte Instruktionen prozessiert. Nur macht es sich bei bedingten Sprüngen schlecht, vor der Auswertung der Bedingung schon die nächste Instruktion zu laden, könnte doch gerade die Bedienung auftragen, eine andere Instruktion zu holen. Die Berechnung der Bedingung abzuwarten macht sich indessen noch schlechter. Denn das führt - wie es ja so schön im Computerjargon heißt - zu weiteren bubbles in der pipeline, zu Leerläufen. Hier kommt die Mind-Reading(?)Machine alias Branch Target Buffer [21] zum Zug und bringt aufgrund ihrer Voraussage eine der beiden möglichen Instruktionen in Anschlag. Über Erfolg oder Mißerfolg der Voraussage und damit über weitere führt nun eine 8-Bit-History Buch. Und hier verebbt auch dieser Zeichenstrom einer kleinen Geschichte über die Mind-Reading(?)Machine. Eine 3-Bit-History, das ist einzige Geschichte, die Computer bis jetzt von sich haben, denn ansonsten sichern sie ihre Zeit und ihren Bestand im endlosen Prozessieren von Befehls- und Datenströme, die in ihrer Kontingenz noch alle Möglichkeiten eines Gegenspielers einzuräumen versprechen.

Nachspiel

Das Auditorium spielte gegen die nachgebildete Mind-Reading(?)Machine. Hierzu wurde eine Tafel rumgereicht, die eine Wahl durch eine Eins oder Null anzuzeigen erlaubte. Wie sehr die Mind-Reading(?)Machine verstanden worden war, zeigte sich, als die Tafel nicht wie angenommen von Platz zu Platz weitergegeben wurde. Anstelle in das Verhängnis einer solchen intersubjektiven Kette gezwungen zu werden, entschieden sich nur Aus- und Selbsterwählte ein Votum abzugeben und zwar solche, die sicher sein konnten die Tafel über die unregelmäßigsten Stationen gereicht bekommen zu haben. So konnte verdient, wenn auch knapp, das Auditorium gegen die Mind-Reading(?)Machine einen Gewinn verbuchen.



 

[1] Vgl. Herman H. Goldstine, The Computer from Pascal to von Neumann. Princeton 1973, S.95

[2] Profile of Claude Shannon - Interview by Anthony Liversidge. In: Claude Elwood Shannon, Collected Papers. Hg. N.J.A. Sloane, Aaron Wyner. New Jersey 1993, S. XXII

[3] Claude Shannon, A Symbolic Analysis of Relay and Switching Circuits. In: Transactions American Institute of Electrical Engineers, Vol. 57 (1938), S. 713-723

[4] Jacques Lacan, Das Seminar Buch II (1954-1955). Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse. Hrsg. v. Nobert Haas und Hans-Jochaim Metzger. Weinheim, Berlin, S.109, im folgendem zitiert als `Lacan, Seminar II'

[5] Vgl. Vannevar Bush, As We may think. In: Atlsntic Monthly 176 (1) 1945, S.101-108, hier S.102 und Vannevar Bush, Pieces of the Action. New Jersey 1970, S.34

[6] Lacan, Seminar II, a.a.O., S.228

[7] Vgl. Alan Turing, Über berechenbare Zahlen mit einer Anwendung auf das Entscheidugsproblem. In: ders., Inteligence Service. Hrsg. v. Bernhard Dotzler und Friedrich Kittler. Berlin 1987, S.17-60

[8] Jacques Lacan, Einführung. In: Schriften I. Hrsg. v. Norbert Haas. Olten 1972, S.49

[9] Lacan, Seminar II, S.246

[10] Vgl. John v. Neumann, Zur Theorie der Gesellschaftsspiele. In: Mathematische Annalen, Bd. 100 (1928). S.295-320, hier S.303

[11] John von Neumann, Oskar Morgenstern, Spieltheorie und wirtschaftliches Verhalten. Würzburg 1961, S.76

[12] Henry Poincaré, Calcul des Probabilittés. Paris 1912, S.15

[13] Karl Dönitz, Zehn Jahre und zwanzig Tage. Bonn 1958, S.143

[14] Lacan, Seminar II. S.235

[15] Lacan, Seminar II. 227 f.

[16] Lacan, Seminar II, S.235

[17] Claude Shannon, Communication Theory of Secrecy Systems. In: Bell System Technical Journal, Vol. 28 (1949), S. 656-715, hier S.704

[18] Vgl. auch Philipp Mirowski, When Games Grow Deadly Serious: The Military Influence on the Evolution of Game Theory. In: Journal of Political Economy, 23 (1991), S. 227-55.

[19] Vgl. Benoit Mandelbrot, Simple Games Of Strategy Occuring In Communication Through Natural Languages. In: Institue of Radio Engineers / Professional Group on Information Theory: Transactions. Bd. 3 (1954), S.124-135

[20] Vgl. Andrew Hodges, The Engima. Berlin 1989, S.147

[21] Vgl. John K. F. Lee und Alan Jay Smith, Branch Prediction Strategies and Branch Target Buffer Design. In: Computer 17:1 (1984), S.6-22