Freitag, 7. Februar 2003 Zwischenräume 5
Fokus "Materialität" Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik (Humboldt Universität zu Berlin (Raum 3031); Unter den Linden 6; 10099 Berlin) 14.00 -- Kaffeepause -- 16:30 MaterialitätSpätestens seit Peter Galisons Image and Logic (1997) hat die Wissenschaftsgeschichte ein neues Lieblingskind. "Materielle Kultur" ist sein präganter Name, aber die Definition, die Galison dafür angeboten hat, ist durchaus beziehungsreich. Wie im Handumdrehen verbindet sich "materielle Kultur" mit "experimenteller Praxis". Insgesamt geht es dann um "die Werkzeuge auf dem Tisch [eines Wissenschaftlers], die Methoden der Berechnung, und die Rollen von Technikern, Ingenieuren, Kollegen und Studenten"(S. 4). Die Materialität der "materiellen Kultur" scheint damit von vornherein abgeschwächt zu werden. Wissenschaftliche Instrumente und andere Dinge bilden für Galison nur einen ihrer Bestandteile; es gibt - "glücklicherweise", meint man zu lesen - ja auch noch die Subjekte alias Menschen und deren immaterielle, "kulturelle" Fähigkeiten. Auch in anderen Arbeiten, die sich dem Studium der materiellen Kultur verschrieben haben, bleiben die Dinge selbst oft merkwürdig konturlos, irreal - stumm. Dies mag zum Teil an der Schwierigkeit liegen, konkrete Dinge (wissenschaftliche Instrumente, technische Artefakte) zur Sprache oder gar zum Sprechen zu bringen, zum Teil aber auch an der Bandbreite von Bedeutungen, die sich mit "Materialität" verbinden. Michel Foucaults Archäologie des Wissens ist in dieser Hinsicht vielleicht besonders folgenreich gewesen. Um sein eigenes Projekt von der Ideengeschichte abzugrenzen, erklärte Foucault bekanntlich, die Archäologie behandele den Diskurs nicht als "Dokument, als Zeichen für etwas anderes", sondern gelte ihm "in seinem eigenen Volumen als Monument" (S. 198). Wenn es aber darum geht, jene Materialität konkreter zu fassen, die Foucault zufolge den Aussagen eigen ist (vgl. S. 148), wird der Archäologe emphatisch. Dann geht es um "Möglichkeiten der Re-Inskription und der Transkription (aber auch Schwellen und Grenzen)" (S. 150) oder um eine "bestimmte modifizierbare Schwere, ein Gewicht der Aussage, welches in Beziehung zu dem Feld steht, in dem sie sich befindet" (vgl. S. 153). Diese Art der Rede hat allerdings eine fruchtbare und auch notwendige Seite. Denn wie sollte ein in den Objekten verkörpertes Wissen "dingfest" zu machen sein, wenn nicht im unbestimmten, d.h. je nach Untersuchungsperspektive neu zu bestimmenden Zwischenraum zwischen den Wörtern und den Dingen? Kann die reine Objekthaftigkeit, die das Ideal einer Konzentration auf die "materielle Kultur" der Wissenschaften sein müßte, analytisch je wirklich eingeholt werden? Jedenfalls hat Foucault die Archäologie nicht umsonst als eine Anstrengung bezeichnet, die ihre Objekte überhaupt erst zu konstituieren hat: "sie versucht, die Ebene zu bestimmen, auf die ich mich begeben muss, damit die Objekte sichtbar werden" (Schriften II, S. 192). So scheint es kein Wunder - aber gerade deshalb der näheren Betrachtung wert - zu sein, daß selbst, wenn es um so explizite Objekte wie ein wissenschaftliches Instrument oder ein bestimmtes Buch geht, de facto doch meistens nur Schriften über oder Abbildungen von solchen Dingen untersucht werden. Die konkreten Dinge, wie sie etwa in einem Museum oder einer Sammlung geborgen sind, scheinen bis auf weiteres vor den Türen des Diskurses zu verbleiben. Muß das Ding nicht zwangsläufig in Abwesenheit treten, sobald der Diskurs anhebt? Mit Blick auf diese Fragestellungen gelten die ZwischenRäume 5 der Annäherung an Materialitäten, und zwar auch auf einer durchaus pragmatischen Ebene. Es geht um die Sammlungen der Humboldt-Universität, um die virtuellen Ressourcen, die den Zugriff auf historische Materialkulturen erleichtern können, und schließlich um die Frage, in welche Richtung sich die Diskurse über Materialität entwickeln werden. |