Freitag, 8. Februar 2002

Zwischenräume 3
Fokus "TRANSPONATE"

Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte
(Wilhelmstr. 44, 10117 Berlin)


14.00
Margarete Vöhringer (MPIWG)
Von Transformationen und Transfusionen: Alexander Bogdanovs Proletformat

Gloria Meynen (HZK)
Routen und Routinen

16.30
Sven Spieker (ZfL)
Schock und Ablage: Archive der Avantgarde

Transponate

"Transponieren" (aus lat. trans, hinüber, und ponere, setzen, stellen, legen) heißt "versetzen", "umsetzen", "von einer Tonart in eine andere übertragen". In deutschen Wörterbüchern scheint das Wort nicht zufällig zwischen "Transplantat" und "Transport" zu stehen: zwischen den Geweben oder Organen, die verpflanzt wurden und werden, und der Beförderung von Dingen und Lebewesen.

Transponate sollen hier die wissenschaftlichen, literarischen oder künstlerischen Gegenstände genannt werden, die versetzt, umgesetzt, übersetzt werden: von einer Sprache in eine andere, aus einer Gruppe von Akteuren in eine andere, von einem Raum des Wissens in einen anderen. Und dabei soll es nicht nur um die Transponate selbst gehen (was wird versetzt?), sondern auch und vor allem um die Bedingungen und Folgen des Transponierens (Wie? Wann? Wer? Warum?).

Im Blick stehen also die Fragen nach (im weitesten Sinne) Texten und Kontexten, Kontexten und Kontextwechseln, sowie nach den Trajektorien dieser Bewegungen, nach den Spuren einer Transposition von Objekten, den Zustandswechseln im Inneren der Objekte bei äußerem Ortswechsel, den Übergängen - Fragen also gegen jene Einfalt, wie Lacan sie einmal der Wissenschaft nachgesagt hat. "Die Forscher", heißt es da nämlich - die Forscher hätten "einen so starren Begriff vom Wirklichen, daß sie nicht bemerken, daß ihre Untersuchung es in ihr Objekt umwandelt. Merkmal, mit dessen Hilfe sie dieses Objekt von allen anderen vielleicht unterscheiden könnten", stünde dem nicht die "realistische Einfältigkeit" entgegen, die "unablässig sich vorzuhalten [versucht], nichts, wie weit auch immer eine Hand reiche, um es in den Eingeweiden der Welt einzugraben, wäre jemals dort den Blicken entzogen, da eine andere Hand es dort erreichen könne, und daß, was versteckt ist, immer nur das ist, was an seinem Platz fehlt, wie sich der Auftragszettel ausdrückt, wenn ein Band in der Bibliothek verloren gegangen ist. Und stünde dieser Band auch auf dem Regal oder im Fach nebenan, er wäre verborgen, wie sichtbar er auch scheinen mag. Das kommt daher, daß man nur von dem, was seinen Ort wechseln kann, das heißt vom Symbolischen buchstäblich sagen kann, daß es an seinem Platz fehle. Denn für das Reale, in welche Unordnung man es auch immer bringt, befindet es sich immer und in jedem Fall an seinem Platz, es trägt ihn an seiner Sohle mit sich fort, ohne daß es etwas gibt, das es aus ihm verbannen könnte."

Es war Bruno Latour, der in der neueren Wissenschaftsgeschichte auf die Bedeutung des "unveränderlich Beweglichen (immutable mobile)" hingewiesen hat. Um Dinge zusammenzubringen, so die These Latours, erfinden Wissenschaftler "Objekte, die die Eigenschaft haben, beweglich zu sein, und zugleich unveränderlich, vorzeigbar, lesbar und untereinander kombinierbar". Chinesische Pflanzen, Planeten und Mikroben - nichts davon könne sich bewegen, aber Zeichnungen, photographische Platten und Petri-Schalen könnten bewegt werden. "Einschreibungen" in diesem allgemeinen Sinn sind, wie Latour sagt, typischerweise flach, sie verfügen über veränderbare Maßstäbe, können verhältnismäßig einfach reproduziert und verbreitet und untereinander kombiniert und verknüpft werden.

Wenn solche Einschreibungen zweifellos gute Beispiele für Transponate sein mögen, so gibt es doch noch andere und vielleicht ebenso wirkungsvolle Medien der Versetzung: etwa die Dinge, die bei Technologietransfers bewegt werden oder bei der Einrichtung von Sammlungen und Museen. Wissenschaftliche Instrumente und künstlerische Objekte sind wahrscheinlich die schlagendsten Beispiele dafür, daß auch "tiefe" Objekte wesentliches zur Verbreitung von Kenntnissen und Verfahren beitragen.

Schließlich wäre auch die Unveränderlichkeit der Latourschen Mobiles in Frage zu stellen. Wußte nicht schon McLuhan von der Erscheinung, daß durch jeden Transport auch dasjenige verändert wird, das transportiert wird? Wie werden also die von Wissenschaftlern, Literaten und Künstlern in Umlauf gebrachten Dinge durch den Umlauf selbst verändert, beispielsweise durch die Übertragung von einem nationalen oder kulturellen in einen anderen. Oder ist es doch nur die Umgebung des Versetzten, die dadurch verändert wird?


  • Latour, B. (1990). Drawing things together. In M. Lynch & S. Woolgar (Eds.), Representation in Scientific Practice. Cambridge (Ma), London: MIT Press.
  • Callon, M. (1986). Some Elements of a Sociology of Translation - Domestication of the Scallops and the Fishermen of St. Brieuc Bay. In J. Law (Ed.), Power, Action, and Belief: A New Sociology of Knowlegde? (pp. 196-229). London: Routledge & Kegan Paul.


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