ZwischenRäume 10: Ansteckung und Immunität

Arbeitsgespräch der drei Berliner Institutionen Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik, Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte und Zentrum für Literaturforschung

Organisation und Leitung:
Caroline Welsh (ZfL), Henning Schmidgen (MPIWG) und Cornelia Weber (HZK)

15. Juli 2005, 14.00-18.00 Uhr
Zentrum für Literaturforschung, Jägerstraße 10/11, 10117 Berlin

Programm

  • Cornelia Zumbusch (München)
    Desensibilisierung der Empfindsamkeit. Die Impfung des Don Carlos
  • Sylvia Sasse (ZfL Berlin)
    Unbewußte Rezeption. Ansteckung bei Tolstoj und Brjusov
  • Johannes Türk (FU Berlin)
    Immunität – zur Archäologie eines Paradigmas
  • Elisabeth Strowick (Basel/New Haven, Yale University)
    Ansteckung und Immunität in Thomas Bernhards 'Kälte'

"Ansteckung ist nichts anderes als eine Lebensäußerung des primär von einer Krankheit afficirten Subjects in einem andern, seiner Wirkungssphäre ausgesetzten organischen Körper, deren materielles Substrat der Ansteckungsstoff ist, und durch welche die organische Thätigkeit des angesteckten Individuums ebenso krankhaft verändert, und der Lebensform des ansteckenden Individuums gleich gesetzt wird, als wenn jenes einen Theil von diesem ausmachte, und mit ihm Einen von denselben Gesetzen beherrschten Organismus bildete, ein Verhältniß, das dem Begriff der Sympathie auf das vollkommenste entspricht."

In diesem bemerkenswerten Zitat von Friedrich Hufeland werden Sympathie und Ansteckung zusammengeführt, Affizierung und Infizierung miteinander gleichgesetzt. Dabei wird die Gemeinsamkeit zwischen beiden Vorgängen, man könnte auch sagen, die beiden Bereichen gemeinsame Denkfigur, sehr deutlich: sowohl bei der Sympathie als auch bei der Ansteckung geht es darum, daß etwas aktiv auf etwas zweites einwirkt, das sich seinerseits rein passiv affizieren, infizieren läßt und zwar so stark, daß es den Gesetzen, der Lebensform des Anderen gleich wird.

Unter dem Fokus "Ansteckung und Immunität" fragen die ZwischenRäume 10 nach Formen der Übertragung des dem Bereich der Medizin entstammenden Konzepts der Ansteckung und seiner Präventation, durch Impfung beispielsweise von außen, aber auch durch das Immunsystem als einem inneren, selbsttätigen Abwehrmechanismus, auf narrative Erzählweisen und ästhetische Theorien. Wo denkt sich Literatur selbst nach dem Modell der Ansteckung und womit will sie anstecken, wird sie gar auch selbst angesteckt? Wogegen wendet sich hingegen eine Literatur, die dem Konzept der Ansteckung eine Abwehrstrategie entgegenstellt und dafür auf die medizinischen Kategorien der Impfung und später der Immunität zurückgreift? Gibt es eine Traditionslinie, die von Friedrich Schiller bis Thomas Bernhard, die Ästhetik als Gegenmodell zur Ansteckung versteht - und in welchen Kontexten wird das Modell der Ansteckung selbst wieder aktuell?



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