Freitag, 13. Juli 2001, 14.00-18.00 Uhr

Zwischenräume 2
Fokus "Reproduzierbarkeit"

Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik
Humboldt Universität zu Berlin
(Unter den Linden 6, 10099 Berlin, Raum 3031)


14.00
Begrüßung/Einleitung
Bernhard Dotzler (ZfL), Henning Schmidgen (MPIWG), Cornelia Weber (HZK)

Gabriele Werner (HZK, Das Technische Bild)
"Das technische Bild zwischen Repräsentierbarkeit und Reproduktion"

Inge Münz-Koenen, Marianne Streisand & Sabine Flach (ZfL, Archäologie der Moderne)
"Das Sichtbarmachen des Unsichtbaren. Visualisierungstechniken im künstlerischen Experiment"

16.00
Peter Geimer (MPWIG, Die Experimentalisierung des Lebens)
"Das Schweben der Vögel, das Schweben der Heiligen: Exnersche Reproduktionen"

Mai Wegener (ZfL, Trennungsgeschichte von Natur- und Geisteswissenschaften)
"Abschreibesysteme. Wilhelm Fließ' Plagiatsaffäre"


Nach dem Initiativ-Workshop Zwischenräume 1: Fokus "Schreibtische" sollen mit Zwischenräume 2 die Arbeitsgespräche zwischen Mitarbeitern am Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik, am MPI für Wissenschaftsgeschichte und am Zentrum für Literaturforschung fortgesetzt und intensiviert werden. Mit dem hierfür gewählten Fokus "Reproduzierbarkeit" werden die Diskussionen um Laboratorien und Archive, Bibliotheken und Arbeitstische als Stätten graphischer Operationen wieder aufgenommen und auf anderer Ebene weitergeführt.

"Repoduzierbarkeit" bezieht sich dabei auf unterschiedlichste Formen der Wiederholung, sei es die Replikation von Beobachtung und Experiment, sei es die Reproduktion von Bild und Text. Die Experimentalwissenschaften ebenso wie die moderne Kunst und Literatur stehen zu den Verfahren der Reproduktion (Instrumentalisierung, Standardisierung, Buchdruck, Programmierung, Photographie etc.) in einem zumindest doppeldeutigen Bezug. Einerseits nehmen sie diese Verfahren in Dienst, um wissenschaftliches oder künstlerisches Wissen zu bestätigen und weiterzugeben; andererseits grenzen sie sich explizit von Wiederholungen ab: Den künstlerischen Avantgarden ebenso wie den modernen Wissenschaften geht es um das "Neue", nicht um das "Alte".

Fast zeitgleich zu Benjamins "Kunstwerk"-Aufsatz hat Karl Popper Wiederholbarkeit zum Kriterium erhoben, das Beobachtungen als wissenschaftliche auszeichnet: "Nur dort, wo gewisse Vorgänge (Experimente) auf Grund von Gesetzmäßigkeiten sich wiederholen, bzw. reproduziert werden können, nur dort können Beobachtungen, die wir gemacht haben, grundsätzlich von jedermann nachgeprüft werden." Daß die Dynamik wissenschaftlicher Entwicklung aber tatsächlich nur den Zusammenhängen geschuldet ist, welche "durch ihre Reproduzierbarkeit grundsätzlich intersubjektiv nachprüfbar sind" (Popper), ist von der neueren Wissenschaftsforschung in Zweifel gezogen worden. Besonders von seiten der historischen Epistemologie wurde verdeutlicht, daß wissenschaftlich produktive Versuchsanordnungen zwar über eine ausreichende reproduktive Stabilität verfügen müssen, zugleich aber einer ausreichenden Durchlässigkeit für den "Einbruch des Unvorhergesehenen" bedürfen. Die Lebenswissenschaftler des 19. Jahrhunderts scheinen dies schon lange gewußt zu haben. Nicht die Kontinuität, sondern der Bruch war ein entscheidendes Motiv für ihre Experimentiertätigkeit: "Das Experiment ist eine Beobachtung, provoziert in der Absicht, einen Gedanken entstehen zu lassen" (Claude Bernard).

In der Kunst- und Mediengeschichte ist Reproduzierbarkeit ebenfalls ein zentrales Thema, und zwar auch in einem Benjamin grundlegend entgangenen Sinn. "Es gibt ein wun-derschönes gewebtes Portrait von Jacquard, zu dessen Her-stellung 24.000 Lochkarten erforderlich waren", heißt es in den frühen Schriften von und über Babbage; und es gab, wie Babbage außerdem berichtet, den Dienstagnachmittag des Jahres 1842, an dem es zu einer bezeichnenden Verwechslung kam. An diesem Nachmittag empfängt Babbage hohen Besuch: Graf Mensdorf, Herzog von Wellington und Prinz Albert (der, von dem heute das Victoria & Albert Museum, einst Museum of Ornamental Art, seinen Namen trägt). Allen drei soll Babbages berühmte neue Rechenmaschine vorgeführt werden. Aber bevor er seine Gäste in die Geheimnisse seiner eigenen Konstrukteursarbeit einweiht, führt Babbage sie vor ein Exemplar des besagten Jacquard-Portraits, deren eines er besitzt. "Oh! Dieser Stich?" markiert Wellingtons höfliche Neugier. Prinz Albert dagegen ahnt sofort, "das ist kein Stich", ohne jedoch des Rätsels Lösung zu erraten, die erst Babbage auskostet: "Das gewebte Portrait war in Wirklichkeit ein Stück gewebter Seide, das gerahmt und mit Firnis versehen worden war; es glich allerdings so vollkommen einem Stich, daß es fälschlicherweise sogar von zwei Mitgliedern der Royal Society dafür gehalten worden war." Zeitgleich zur Ausbreitung von Lithographie und Photographie trat so - gestützt auf jenen "Bereich der Schrift" (Derrida), dem alle Programmierbarkeit zugehört - eine Reproduktionstechnik in Konkurrenz zu Holzschnitt, Kupferstich und Radierung, die einem Benjamin verschlossen blieb.

Die Zwischenräume 2 versuchen, dem Thema "Reproduzierbarkeit" aus Sicht der Literaturforschung, der Wissenschaftsgeschichte und der Geschichte von Kulturtechniken nachzuspüren. Die Vorträge sind wieder als work in progress-Berichte (15 bis 20 min.) gedacht, um allen Teilnehmern ausführlich Gelegenheit zur Diskussion zu geben.



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