ZwischenRäume 14 - Fokus: Tier-Werdungen.
Perspektiven auf nicht-menschliche Wirklichkeiten

Freitag, 18. April 2008, 15.00-18.00 Uhr
Zentrum für Literatur- und Kulturforschung
Schützenstr. 18 (3. Etage)
10117 Berlin

Programm:

  • 15:00
    Katrin Solhdju
    Begrüßung und thematische Einführung
  • 15:30
    Angela Fischel
    Das Tier Mensch. Hybride Gestalten in der Naturphilosophie des 17. Jahrhunderts.
  • 16:15
    Kyung-Ho Cha
    Animal crypticum. Zur zoologischen Theologie des 20. Jahrhundert
  • 17:00
    Cord Riechelmann
    Tierwerden in den Schriften, Interviews und Pamphleten des Subcommandante Marcos

Ob man Tieren menschliche Eigenschaften zuspricht, sie vermenschlicht, oder ob man in einem gegenstrebigen Zuge vom Menschen als dem denkenden, rituellen oder politischen Tier sprechen mag, in jedem Fall läuft man - die Absicht mag gegenteilig sein - Gefahr, das Oppositions- bzw. Hierarchiepaar Tier /Mensch, wenn auch mit neuen Vorzeichen ausgestattet, zu verfestigen. Die 14. Zwischenräume gehen davon aus, dass eine Analyse konkreter Praktiken der Wissensproduktion zu einer Pluralisierung führen kann, die nicht länger Mensch und Tier einander gegenüberstellt, sondern weiter verzweigte Differenzierungen ermöglicht. Daher soll die Frage nicht lauten, "Wie unterscheiden sich Mensch und Tier voneinander?", sondern vielmehr, "Was ereignet sich im Zusammensein von Mensch und Tier, was geht hervor, wenn sie sich begegnen?"

Das gegen Anfang des 20. Jahrhunderts in Berlin lebende und legendär gewordene Pferd "Der schlaue Hans" war einer der Ausgangspunkte für das Stellen dieser Frage. Hans konnte zählen. Wie die belgische Philosophin und Ethologin Vinciane Despret überzeugend darstellt, machten sich verschiedene Wissenschaftler daran, dem Geheimnis des schlauen Pferdes auf die Spur zu kommen. Der Wichtigste unter ihnen, Oskar Pfungst, geriet auf die Fährte, seine Experimente weniger an den in Frage stehenden menschlichen Fähigkeiten des Tieres, als vielmehr an dessen Interessen auszurichten. Sein Ergebnis war verkürzt gesagt, dass es einen wechselseitigen Austausch von Fähigkeiten zwischen den Menschen und Hans gab, der maßgeblich von dem Pferd gesteuert wurde. Es brachte seinen Befragern bei, ohne dass diese es bemerkt hätten, unwissend minimale Bewegungen oder eher Anspannungen und Entspannungen auszuführen, die die Anzahl der von ihm geklopften Huftritte beeinflusste. Es zählte weniger, als dass es mit seinem Gegenüber in eine körperliche Beziehung getreten war. So hatte der Körper des Wissenschaftlers gelernt, von Hans affiziert zu werden und andersherum. Gewissermaßen war hier nicht mehr zu unterscheiden zwischen demjenigen, der Experimentierte und demjenigen, an dem experimentiert wurde. Sie hatten sich in eine gemeinsame Zwischenwelt begeben. Pfungsts darauf folgende Experimente führen dies in signifikanter Form vor Augen: da klar war, dass das Pferd etwas mit den Menschen machte, das diese zu Instrumenten werden ließ, an denen es etwas ablesen konnte, dieser Vorgang jedoch nur aus der Innenperspektive des Pferdes verständlich werden konnte, nahm Pfungst selbst die Position des Pferdes ein – eine Form des Tier(isch)-Werdens und zugleich des Mensch(lich)-Werdens. Aber auch Konrad Lorenz' berühmt gewordene Dohlen-Experimente führen eine Version wechselseitigen Werdens vor Augen, bei denen der Körper des Forschers ebenso auf dem Spiel des Experiments steht, wie der des Tieres. Das Wissen, das dabei entsteht, ist fundamental auf dieses Sich-Einlassen von beiden Seiten angewiesen, aus dem neue Differenzen, die nicht länger in Opposition zueinander zu verstehen sind, hervorgehen.

Die Fragen, die sich daraus ergeben sind u.a. Folgende: Was ist ein adäquater Umgang mit (lebendigen) Realitäten, wie Tieren und anderen Spezien? Wie lässt sich etwas über sie wissen oder in Erfahrung bringen? Wie werden die dazu nötigen Perspektiven und Perspektivwechsel vollzogen? Welche Rolle spielt dabei die Artifizialität von Experimenten und was können sie von eingeübten zum Teil aber vergessenen Praktiken lernen? Es gilt dieses Feld sowohl anhand historischer Analysen als auch konzeptueller und methodologischer Überlegungen auszuloten.


Kontakt:

Katrin Solhdju
Zentrum für Literatur- und Kulturforschung
E-mail: solhdju [at] zfl.gwz-berlin.de
Tel: 030- 20192-183


"ZwischenRäume" ist eine Veranstaltungsreihe, die dem Austausch und der Zusammenarbeit folgender Institutionen dient: Freie Universität Berlin, Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Humboldt-Universität zu Berlin, Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, Fakultät Medien, Bauhaus Universität Weimar.



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