Donnerstag, 1. Februar 2001, 13:00-19:00 Uhr

Zwischenräume
Fokus "Schreibtische"

Zentrum für Literaturforschung,
(Jägerstraße 10/11, 10117 Berlin, Raum 006)


13.00
Begrüßung
Wolfgang Schäffner (HZK) / Henning Schmidgen (MPIWG)

Einführung
Jochen Brüning (HZK)

"Ikono / Graphie. Genealogische und klassifikatorische Schemata in den Manuskripten Aby Warburgs"
Sigrid Weigel (ZfL)

15.00
"Züge des Experiments"
Hans-Jörg Rheinberger (MPIWG)

"Vom Schreibtisch zur Riemannschen Fläche"
Friedrich Kittler (HZK)

Diskussion


"Zwischenräume" bezieht sich auf Stätten graphischer Operationen, unabhängig davon, ob deren Gegenstände und Produkte als "Wissenschaft" oder "Kunst", als "Literatur" oder "Theorie" deklariert werden. Im Labor des Biologen ebenso wie im Atelier des Künstlers, im Arbeitszimmer des Romanciers ebenso wie beim Sammler und Archivar bilden die Schreibtische Kreuzungspunkte, an denen elementare Prozesse der Wissensproduktion ablaufen. Schreibtische als "Zwischenräume" in diesem Sinn sind komplexe Zeichengenerierungs- und Verarbeitungssysteme. Sie sind zunächst durch spezifische materielle Kulturen bestimmt: Schreib-, Zeichen- und Rechengeräte, Papiere, Bücher, Archivalien, Tabellen, Register, Formulare, schließlich Ordner, Schubladen und Regalfächer. Zugleich stellen diese Tische Instanzen einer relativen "Entmaterialisierung" von Wissen dar. So werden auf ihnen die durch wissenschaftliche und künstlerische Experimente hervorgebrachten Daten und Zeichen von ihren engen Kontexten (einem Kymographen z. B.) abgelöst, um sie weiterverarbeiten und in andere Kontexte tragen zu können: sei es durch Notizen, Briefe und Skizzen; sei es durch scheinbar völlig idiosynkratische Formen graphischer Operationen, die in aller Vorläufigkeit bei der Ordnung, Konstellierung, Berechnung und Zeichnung von Daten und Materialien grundlegende Arbeit leisten. Viele dieser Formen tauchen nur hier auf, niedergelegt auf Zetteln oder festgehalten in Notizbüchern, ohne jemals in den Endprodukten wissenschaftlicher und künstlerischer Produktion, in Texten, Bildern und Diagrammen sichtbar zu werden. Umgekehrt können die Verfahren auf den Schreibtischen dazu führen, wieder neue Versuchsanordnungen aufzubauen, neue Datensammlungen in Labors und Archiven einzuleiten.

In der Wissenschaftsforschung hat man den Prozessen der Erzeugung und Verarbeitung von Zeichen lange Zeit mit Hilfe des Repräsentationsbegriffs nachgespürt - ein Begriff, der mittlerweile einer Präzisierung bedarf, die stärker auf die unterschiedlichen Arten von Zeichen und auf deren operativen Charakter abhebt und die darüber hinaus die einzelnen Glieder der Kette deutlicher fokusiert, die den Übergang von der Intervention zur Repräsentation, von Experiment zu Bild und Text sicherstellt. In den Kulturwissenschaften ist es hingegen üblich geworden, nach dem zwischen Wissenschaft und Literatur stattfindenden Transfer von "Metaphern", "Leitbegriffen" und "diskursiven plots" zu fragen. Unbestritten sind Metaphern ein überaus wirksames Mittel, um die Entmaterialisierung von erarbeitetem Wissen zu bewerkstelligen. Aber nicht nur für metaphorische Elemente von Diskursen wird sich eine an experimentellen und instrumentelllen, an pragmatischen und diskursiven Aspekten interessierte Geschichte wissenschaftlicher und künstlerischer Graphemproduktionen interessieren, ihre Aufmerkamkeit hat auch und insbesondere andersgearteten Zeichen zu gelten (mit Peirce zum Beispiel: Indexe, Ikone, Symbole).

Der Workshop "Zwischenräume" ist dem Versuch gewidmet, mit dem Schreibtisch den Ort zu erkunden, in dem Experimentalsysteme und Aufschreibesysteme miteinander verkoppelt werden, zum Teil nach geregelten Verfahren, zum Teil bloß tentativ oder vorläufig. Stets handelt es sich jedoch um fundamentale Formen der Wissenserzeugung. Der Workshop soll dazu dienen, anhand von Beispielen, die aus den unterschiedlichen Forschungsfeldern der Teilnehmer stammen, für das 20. Jahrhundert Linien von epochalen Regimes graphischer und symbolischer Operationen zu skizzieren. Er soll die Möglichkeit bieten, durch Kurzpräsentationen (ca. 15 Min.) zentrale Themen vorzustellen, die sich unter der skizzierten Fragestellung fokussieren lassen, um in den anschließenden Diskussionen den gegenseitigen Austausch in den Vordergrund zu stellen.

Zugleich soll im Rückgriff auf die an den beteiligten Institutionen vorhandenen Ressourcen und auf das entstehende Netz von Kooperationen eine Erkundung von produktiven Interferenzen unternommen werden: einerseits zwischen dem Herrmann-von-Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik, dem Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte und dem Zentrum für Literaturforschung, andererseits zwischen dem VW-Projekt "Die Experimentalisierung des Lebens" (unter Einbezug der Medienfakultät der Bauhaus-Universität Weimar) und dem DFG-Projekt "Europa", welche die beteiligten Institutionen bereits verbinden.


Teilnehmer:
K.-H. Barck, P. Berz, A. Bitsch, S. Dierig, B. Dotzler, P. Geimer, H.-Chr. von Herrmann, Ph. v. Hilgers, Chr. Kassung, S. Khaled, M. Krajewski, C. Pias, S. Ruf, B. Siegert, M. Vöhringer, J. Voss, C. Weber u.a.


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